Wien - Ab und zu kommt noch ein Freier zur Tür herein, lässt seinen Blick durchs Lokal gleiten und fragt dann verwundert: "Wo sind denn die Frauen?"

Prostituierte gibt es im "Irrlicht" am Sparkassaplatz im 15. Bezirk in Wien keine mehr. Im vergangenen Jahr haben die Schauspieler Christina Berzaczy und Lino Kleingarn aus dem ehemaligen Puff "Melodie" eine Künstlerbar gemacht. Das Mobiliar des Bordells haben sie behalten.

Anrainerin Teresa Sturm und die Betreiber des Irrlichts erzählen im Video von ihrem Grätzel.
derstandard.at/von usslar

Heute sitzen hippe Studenten hinter einer Pole-Dance-Stange auf roten Lederbänken im schummrigen Licht und spielen Pubquiz.

Das Irrlicht ist nur ein Beispiel für eine Reihe von Initiativen von jungen Kreativen, die sich seit einigen Jahren rund um die Reindorfgasse in Rudolfsheim-Fünfhaus ansiedeln. Dabei galt der 15. lange Zeit als Problembezirk. Nirgendwo sonst in Wien verdienen die Bewohner so wenig (siehe Wissen), der Ausländeranteil ist hoch.

Weniger Leerstand: Die Geschäfte in der Reindorfgasse werden mehr.
Foto: Standard/Maria von Usslar

Günstige Mieten

Wie kam es dazu, dass nun aus einem Puff eine Künstlerbar wird und die ehemals leerstehenden Geschäfte wieder mit Leben erfüllt werden? Ein wichtiger Grund: Die Mietpreise im 15. Bezirk sind vergleichweise gering. Hier kostet ein Quadratmeter durchschnittlich 12,60 Euro. Im 7. Bezirk, wo die Kreativindustrie vor allem beheimatet ist, zahlt man 15,10 Euro. Dass sich im Grätzel so viel bewege, liege vor allem daran, "dass die Leute, die hier leben, etwas tun", sagt Kleingarn vom Irrlicht.

Vom ungarischen Fleischhauer bis zum türkischen Friseur: Die Reindorfgasse ist bunt.
Foto: Der Standard/Maria von Usslar

Das bestätigt auch Markus Steinbichler, der für die Gebietsbetreuung in Rudolfsheim-Fünfhaus zuständig ist: "Es sind die richtigen Menschen zur richtigen Zeit." Die Gebietsbetreuung vernetzt Anrainer und Geschäftsbetreiber und sei in der Reindorfgasse auf "besonders fruchtbaren Boden" gestoßen. In Kooperation mit dem Einkaufstraßenverein ist die Initiative "Einfach 15" entstanden, die mit Mitteln der Wirtschaftsagentur Wien das Grätzel beleben will. Zudem gibt es eine Sanierungsoffensive im Stadtteil Reindorf. Insgesamt 24 Baublöcke sollen erneuert werden.

Gentrifizierung befürchtet

Bevölkerungsgeografin Yvonne Franz forscht derzeit für die Universität Wien zum Grätzel. Sie macht zwei Gruppen für die positive Stimmung verantwortlich: Die Stadt Wien schaffe mit Initiativen wie der Gebietsbetreuung den richtigen strukturellen Rahmen, dazu komme sehr viel persönliches Engagement. Etwa auch von Eduard Peregi, der das Gasthaus Quell in der Reindorfgasse betreibt und sich aktiv in die Belebung des Viertels einbringe.

Eine Gentrifizierung sieht Franz nicht, da das Bauchgefühl der Bewohner durchwegs positiv sei. Zudem gebe es viele Gemeindebauten und Genossenschaftswohnungen, was die Mieten nicht leicht steigen lässt. Gentrifizierung würde bedeuten, dass die alt eingesessenen, ärmeren Anrainer aus dem Bezirk von Wohlhabenden verdrängt werden.

Der Schwendermarkt am Ende der Reindorfgassse.
Foto: Der Standard/Maria von Usslar

Genau das befürchtet Tamara Schwarzmayr von der Initiative "Samstag in der Stadt", die sich der Wiederbelebung des Schwendermarktes am Ende der Reindorfgasse angenommen hat. Die Initiative hat Hochbeete am Markt angelegt, ist auf der Suche nach neuen Standlern und veranstaltet Feste auf dem Platz rund um den Markt. Zudem bietet sie kostenlose Sozialberatung. "Man übersieht in der Euphorie, dass diese Veränderungen für viele die Vertreibung bedeuten", sagt Schwarzmayr. Die Blocksanierungen führten etwa zu höheren Mieten, die sich ärmeren Bewohner im 15. Bezirk nicht leisten könnten. (Lisa Kogelnik, DER STANDARD, 13.3.2015)

Bereits besuchte Grätzel: